Short Cuts

Echt jetzt? Führt KI die PR in eine Vertrauenskrise?

01.12.23

November 2022 …

… ein ganz normaler Herbsttag-Nachmittag. Fast wie heute: Wolken, Nebel, Kälte, Schneeflocken. Zum ersten Mal teste ich dieses neue Tool: ChatGPT. Ich bin sofort fasziniert und zeige die Ergebnisse meiner Frau. Sie kann es kaum glauben. Es sieht so aus, als würden wir uns mit einem kompetenten Gesprächspartner austauschen. Je länger der Abend wird, umso ungewöhnlichere Fragen und Aufgaben denke ich mir aus: Entwicklungsstränge der Systemtheorie, Semiotik-Konzepte in der PR, erkenntnistheoretische Fragen des Konstruktivismus. Schon lange hatte ich keinen so kenntnisreichen Gesprächspartner. Gut, damals hatte ich noch nicht nach den wissenschaftlichen Quellen gefragt.

Und es dauerte ein bisschen, bis sich das Thema durch die PR-Landschaft fraß. Heute ist es bei fast allen angekommen. Auch jetzt – ziemlich genau ein Jahr später – beschäftigt kaum ein Thema die Kommunikationsszene so stark. Über die Chancen von generativer KI sind sich viele schnell einig. Die einen sind begeistert, wie einfach und schnell sich Texte und Grafiken erstellen lassen. Die anderen denken schon über Automatisierung, entscheidungsunterstützende Systeme, sinkende Preise und Personalabbau nach. Und tatsächlich sind Marketing und Kommunikation die Unternehmensbereiche, in denen sich generative KI am stärksten durchgesetzt hat. Es herrscht ein regelrechter Hype. Der PR Report präsentiert 44 KI-Tools und 99+2 Prompts, „die PR-Profis kennen sollten“.

Die erste Euphorie verfliegt

Die Ernüchterung dauert es etwas länger. Allerdings nicht so lange wie der Gartner Hype Cycle prophezeit. Aus welchen Quellen bezieht das System seine Informationen? Wie stark ist der Bias? Schnell lernen Kommunikationsmanager:innen, dass auch bei der KI die Ergebnisse nur so gut sind, wie das Briefing. Trainees, Texter und Grafiker atmen auf: endlich! Seit Jahren beklagen Agenturen und Kreative dürftige Kundenbriefings. Ziele, Zielgruppen, Thema, Kernbotschaften, Textformat, Medien-Plattform – eigentlich nichts Neues. An den Tsunami an KI-generiertem Content denkt noch niemand so richtig. Im März meldet die Tagesschau: KI-generierte Desinformation auf dem Vormarsch.

Kaum ist das gemeistert, geht es weiter mit den rechtlichen Fragen: Wer hat das Urheberrecht? Darf man die Texte und Bilder überhaupt verwenden? Wen müsste man ggf. zitieren? Wie ist das mit dem Schutz der personenbezogenen Daten? Was mich am meisten verwundert: Wir wissen es nicht – zumindest nicht genau. Aber solange niemand klagt (…)

Nicht alles, was möglich ist, ist auch klug

Wer längerfristig denkt und nicht in blindem Zweckoptimismus versinkt, ahnt bald: Da kommt noch mehr. Fake-Bilder vom Papst, eine Fake-Pressemitteilung des Barbie-Herstellers, Fake-Fotos in der Adobe-Datenbank, Fake-Videos des Bundeskanzlers. Es wird – auch für Fachleute – immer schwerer, Facts von Fiction zu unterscheiden – zu perfekt sind die realistisch anmutenden Medienprodukte. Auch Stimmen lassen sich faken. Was wir für die Wirklichkeit halten, ist immer häufiger künstlich erzeugt – ein gefundenes Fressen für Desinformation. Sie zermürbt das Vertrauen in die Medien. Jene Medien, über die Niklas Luhmann 1995 sagte: Fast alles was wir über die Welt wüssten, wüssten wir durch sie. Zugleich wüssten wir so viel über die Medien, dass wir ihnen nicht trauen könnten.

Vier von fünf Bürger:innen sehen in Fake News eine wachsende Bedrohung für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt (Stiftung Zukunftsfragen 2023). Zugleich antworten zwei Drittel der Unternehmen und Agenturen auf die Frage, wie sie sich auf die Erkennung von Desinformation vorbereiten: „Wir verlassen uns auf die individuellen Kompetenzen/Erfahrung unserer Kommunikationsmitarbeiter“ (European Communication Monitor 2023). Impulse und Orientierung gibt jetzt die KI-Richtlinie, die der Deutsche Rat für Public Relations vor wenigen Tagen veröffentlicht hat.

Reicht das? Wir meinen: Nein!

Wenn ich „wir“ sage, meine ich die Beraterin und Buchautorin für Storytelling Petra Sammer und mich. Wir sind überzeugt, dass vor allem die mittel- bis langfristigen Folgen für Unternehmen, Medien und Gesellschaft unterschätzt werden. Deswegen sehen wir Akteure und Institutionen der Kommunikationsbranche in der Pflicht: Unternehmen und Agenturen, Kreative, Berater:innen, Freiberufler, Lehrende und Studierende an Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen, Fachmedien, Verbände, PR-Dienstleister, Award- und Konferenzveranstalter.

Über diese Fragen habe ich heute gemeinsam mit Petra und unseren Gästen beim Breakfast-Panel der Deutschen Public-Relations-Gesellschaft (DPRG) in München im Lucky Punch Comedy Club (ehemals Gasteig) diskutiert:

  • Birgit Heinold, Geschäftsführerin, Archetype Deutschland
  • Andreas A. Rossbach, Team Lead CorpComms, Acronis (verantwortlich für KI bei der AG CommTech)
  • Prof. Dr. Lars Rademacher, DRPR e.V. – Deutscher Rat für Public Relations e.V.

Meine Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Diskussion:

  • Kommunizieren Sie nichts, was Sie nicht belegen können.
  • Kennzeichnen Sie Texte, Bilder und Videos, die mit generativer KI erstellt oder überarbeitet wurden.
  • Verwenden Sie, so weit möglich, Wasserzeichen und digitale Signaturen.
  • Entwickeln Sie in Ihrem Unternehmen eigene Richtlinien im Umgang mit generativer KI.
  • Sensibilisieren und beteiligen Sie Ihre Mitarbeitenden, nicht nur Ihre Kommunikationsabteilung.
  • Schärfen Sie Ihr Medien- und Social-Media-Monitoring nach. Stellen Sie auf Echtzeit-Beobachtung um.
  • Bereiten Sie sich auf mögliche Reputations- und Kommunikationskrisen vor.

Wenn Sie mehr erfahren möchten und wissen, was ist jetzt wichtig, um Reputationsrisiken und Vertrauensverlust durch KI in der Unternehmenskommunikation zu vermeiden, nehmen Sie Kontakt mit mir auf!

Ich freue mich auf Ihren Anruf oder Ihre Mail.

Bonusmaterial:

Gemeinsames Positionspapier „Generative KI in der PR“ von Petra Sammer und Prof. Dr. Michael Bürker [PDF].

Workshop-Anleitung und Diskussions-Leitfaden zum Selbermachen von Petra Sammer [PDF].

Blogbeiträge zu KI in der PR:

  • „Wir müssen reden“ von Petra Sammer [Web]
  • „Ist die 4-Tage-Woche die Antwort auf KI?“ von Michael Bürker [Web]

Studien zu KI und Desinformation in Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmenskommunikation:

  • Bertelsmann-Studie Desinformation-Herausforderung-Demokratie 2023-08 [PDF]
  • bidt-Studie Digitalbarometer 2023-09 [PDF]
  • BVDW Befragungen KI 2023-08 [PDF]
  • CommTech-Studie Digitale-Transformation-Unternehmenskommunikation 2023-11 [PDF]

Kodices zu KI-Ethik in Gesellschaft und Public Relations:

  • Deutscher Ethikrat Stellungnahme Mensch und Maschine 2023-03-20 Kurzfassung [PDF]
  • Deutscher Ethikrat Stellungnahme Mensch und Maschine 2023-03-20 Langfassung [PDF]
  • KI-Richtlinie des Deutschen Rats für Public Relations [Web]