KI oder nicht – was würden Sie tun?
Würden Sie Ihren CEO von einer generativen KI simultan und lippensynchron übersetzen lassen, um Mitarbeitende in mehreren Ländern und Sprachen zeitgleich über strategische Änderungen im Unternehmen zu informieren?
Würden Sie eine wissenschaftliche Medikamenten-Studie mit Hilfe generativer KI in einfache, verständliche Sprache übersetzen, dann vertonen und in einen Podcast-Dialog umwandeln?
Würden Sie für eine Kampagne pro Organspende von einer generativen KI fiktive Lebensläufe für drei Betroffene, die auf ein Spenderorgan warten, entwickeln lassen?
Diese drei Fragen haben Prof. Dr. Elke Kronewald, Vorsitzende des Deutschen Rates für Public Relations (DRPR), und ich 150 Teilnehmenden auf dem Take-off der Deutschen Public-Relations-Gesellschaft (DPRG) gestellt. Das Online-Voting brachte folgendes Ergebnis:
- 35 Prozent würden mit Hilfe generativer KI die Rede ihres CEO lippensynchron übersetzen.
- 61 Prozent würden aus einer Pharma-Studie ein Podcast-Interview machen.
- 69 Prozent würden fiktive Lebensläufe für eine Organspende-Kampagne erfinden lassen.
Die entsprechenden KI-Tools gibt es längst: ElvenLabs, Heygen, Fliki – um nur drei Beispiele zu nennen. Mich hat das Ergebnis überrascht: Es gibt gute Gründe für den Einsatz von generativer KI. Es geht schnell und entlastet das Budget. Die Qualität der Ergebnisse kann sich sehen lassen. Doch je länger ich darüber nachdenke, umso mehr würde ich davon abraten.
Was wäre, wenn bekannt würde, dass alle drei Kommunikationsmaßnahmen künstlich erzeugt wurden? Wie würden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihren Chef denken, wenn sie wüssten, dass er allenfalls mittelprächtig Englisch spricht? Welche Schlüsse würden sie aus diesem Wissen ziehen? Was würden sie ihm noch glauben.
Was wäre, wenn die Zuhörer des Podcast erfahren, dass die beiden Redner von einer KI erzeugt wurden? Würden Sie dem Pharma-Unternehmen und dem Medikament vertrauen? Wie würden Ärzte reagieren, wenn sie wüssten, dass die Studie von einer KI in verständliche Sprache übersetzt wurde?
Und was wäre, wenn Organspender, die sich von der Kampagne überzeugen lassen, erfahren, dass die Lebensläufe der drei Patienten erfunden wurden? Würden sie ihre Spendenbereitschaft zurückziehen? Wie würden andere Menschen reagieren, die bereits einen Organspendeausweis besitzen?
Was also sollten wir tun? Glaubwürdigkeit ist die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen von Kommunikation. Sie wirkt wie ein Filter für alles, was Unternehmen tun. Wem nicht geglaubt wird, hilft auch die beste Kommunikation nicht. Sie zu sichern, ist deshalb eine der zentralen Aufgaben aller handelnden Akteure – insbesondere des Kommunikationsmanagements. Im Gegensatz zur Reputation darf sie nicht einmal temporär belastet werden. Bei schwierigen, strategischen Entscheidungen können Unternehmen bewusst in Kauf nehmen, dass ihre öffentliche Wahrnehmung und Beurteilung kurzfristig Einbußen erleidet. Selbst ein zeitweiser Rückgang von Absatz, Umsatz und Ertrag kann ins Kalkül einbezogen werden, wenn dadurch strategische Chancen-Potenziale erschlossen werden.
Aber bei der Glaubwürdigkeit können keine Abstriche gemacht werden. Deshalb ist generative KI aus meiner Sicht auch mehr als eine ethische Herausforderung. Unternehmen, die Chancen und Risiken ihres Einsatzes bewusst und verantwortlich abwägen, handeln rational. Sie stellen den langfristigen Erfolg über den kurzfristigen Gewinn. Sie handeln strategisch im klassischen Sinne. Doch es gibt noch einen zweiten, weiter reichenden Aspekt.
Folgen für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Jedes unternehmerische Handeln ist stets auch ökonomisches und soziales Handeln. Es vollzieht sich auf Märkten, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. In diesem Sinne müssen Unternehmen für alles, was sie tun oder nicht tun, gegebenenfalls Rechenschaft ablegen (können). Sie müssen ihr Verhalten im wahrsten Sinne des Wortes „ver-antworten“ – Antworten geben auf kritische Fragen. Das gilt auch für ihre Kommunikation. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der eigenen Glaubwürdigkeit und Reputation. Es geht immer auch um die ökonomischen, politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln.
Durch die Nutzung generativer KI werden diese Grundlagen zunehmend gefährdet. Bei digitalen Medien wird es immer schwerer, zwischen authentischen, faktisch nachprüfbaren und künstlich erzeugten, fiktiven Inhalten zu unterscheiden. Am deutlichsten wird dies bei Fotos und Videos. Prominente Beispiele haben dies gezeigt: die gefälschte weiße Jacke des Papstes, die vermeintliche Festnahme von Donald Trump und der gefakte Video-Aufruf von Bundeskanzler Scholz für ein Verbot der AfD. Desinformation untergräbt das Vertrauen in jede Kommunikation. Die Folge sind Irritation und Misstrauen von Mediennutzern gegenüber jeglichen Medien und Informationen. Für Top-Entscheider in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ist Desinformation kurz- wie langfristig eines der Top-5-Risiken weltweit (World Economic Forum, 2024).
Wem sollen, können wir noch vertrauen? Was geschieht mit einer Gesellschaft, in der Medien und öffentlichen Institutionen nicht mehr geglaubt wird? Nach repräsentativen Umfragen haben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung kein oder nur geringes Vertrauen in KI-erstellte Medieninhalte (Civey, 2023) und genauso viele sehen in Fake News eine Bedrohung für Demokratie und Zusammenhalt (Stiftung Zukunftsfragen, 2023). Durch einen verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz in der Kommunikation können Unternehmen dazu beitragen, die Beziehungen zu ihren Stakeholdern sowie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen ihres Tuns zu sichern.
Was können Unternehmen und ihre Kommunikationsmanager jetzt tun?
Kommunikationsabteilungen sollten über mögliche Folgen des Einsatzes von generativer KI diskutieren. Dabei sollten Chancen wie Risiken gleichermaßen berücksichtigt werden. Längerfristige Sicherheiten sollten kurzfristigen Erfolgen nicht geopfert werden.
Sie sollten Sorgfaltspflichten beim Umgang mit generativer KI definieren. Dazu zählen beispielsweise die Prüfung von Inhalt, Herkunft sowie Wahrheitsgehalt von Informationen, Freigabeprozesse sowie das 4-Augen-Prinzip.
Auf dieser Basis sollten Unternehmen eigene Richtlinien im Umgang mit künstlicher Intelligenz in der Kommunikation entwickeln. Die KI-Richtlinie des Deutschen Rates für Public Relations (DRPR) bildet dafür eine gute Grundlage.
Im Rahmen von Compliance-Maßnahmen sollten auch Mitarbeitende außerhalb von Kommunikationsabteilungen für mögliche Folgen von KI in der Kommunikation für Unternehmen wie Stakeholder sensibilisiert werden. Dies gilt insbesondere für Corporate Influencer, die in den sozialen Medien für ihr Unternehmen kommunizieren.
Bei all dem gilt: die aktive und offene Auseinandersetzung unter Kolleg:innen ist wichtiger als jedes Papier. Sie sollte regelmäßig wiederholt werden. Führungskräfte tragen die Verantwortung, dass dies geschieht.
Ich danke Petra Sammer, Beraterin und Buchautorin für Storytelling, für die Idee zu unserer gemeinsamen Initiative und dem Positionspapier “Generative KI in der PR”, sowie Elke Kronewald, Vorsitzende des Deutschen Rates für Public Relations (DRPR) und Professorin für Kommunikationsmanagement und PR-Evaluation an der FH Kiel, für den gemeinsamen Auftritt beim Take-off 2024 der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) am 22. Februar in Berlin.
Bonusmaterial:
Gemeinsames Positionspapier “Generative KI in der PR” von Petra Sammer und Prof. Dr. Michael Bürker [PDF].
Workshop-Anleitung und Diskussions-Leitfaden zum Selbermachen von Petra Sammer [PDF].
Blogbeiträge zu KI in der PR:
- „Echt jetzt? Führt KI die PR in eine Vertrauenskrise?“ [Web]
- “Ist die 4-Tage-Woche die Antwort auf KI?” [Web]
Studien zu KI und Desinformation in Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmenskommunikation:
- Bertelsmann-Studie Desinformation-Herausforderung-Demokratie 2023-08 [PDF]
- bidt-Studie Digitalbarometer 2023-09 [PDF]
- BVDW Befragungen KI 2023-08 [PDF]
- CommTech-Studie Digitale-Transformation-Unternehmenskommunikation 2023-11 [PDF]
Kodices zu KI-Ethik in Gesellschaft und Public Relations: